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© Maritta Iseler

Erfahren, um zu wissen

Von Annett Gröschner

Die Autorinnen Annett Gröschner und Dima Albitar Kalaji leiten das Projekt Lebendiges Archiv - Vom Umgang mit Ditatur.

„Hast du schon mal – ohne Eltern – ein paar Tage in einem Schloss verbracht?“ Das war eine der Fragen, die wir den potenziellen Teilnehmer*innen unseres geplanten Workshops „Offene Ohren, lebendiges Archiv: der junge Podcast – vom Umgang mit Diktatur“ gestellt haben. Denn die Frage war ja, wie schaffen wir es, dass Jugendliche ihre kostbare Ferienzeit mit einem Thema verbringen wollen, das auf den ersten Blick nach Schule klingt.

Der Aufenthalt in einem Schloss war dann aber für die neun Teilnehmenden gar nicht das Ausschlaggebende, um sich zu bewerben, obwohl es ein freundlicher, großzügiger und angenehmer Ort ist, das Herrenhaus der Stiftung Genshagen. Es liegt am Rand von Ludwigsfelde, das man eher mit Fahrzeugbau verbindet.

Das Schloss hat in seinen Gemäuern schon viele Nutzungen erlebt, für drei Tage war es ein kreativer Ort, der nicht ganz aus der Welt war. Im Minutentakt bewegen sich Flugzeuge im Landeanflug auf den Berliner Flughafen über dem Anwesen und nicht weit entfernt rauscht Tag und Nacht die Autobahn. Das Haus ist umgeben von einem weitläufigen Landschaftspark mit vielen in diesem Landstrich eher seltenen Gehölzen. Ein bisschen entsprach dem auch die Zusammensetzung der Gruppe. Es waren Jugendliche aus verschiedenen Schulformen und Herkünften, aus der Stadt und vom Land, mit den unterschiedlichsten Talenten, die eines einte: Neugier auf Geschichte und Lust auf Kreativität.

In unserem künstlerischen Forschungsprojekt „Lebendiges Archiv“ untersuchen wir, die syrische Autorin Dima Albitar Kalaji und ich, die ich in Ostdeutschland aufgewachsen bin, die Diktaturerfahrungen von Menschen, die in Syrien und/oder in der DDR gelebt haben, anhand von Archivmaterial und Gesprächen mit Zeitzeug*innen. Es geht um die Zusammenarbeit der Geheimdienste und die ideologische Nähe der beiden Diktaturen, verschiedene Wirkungsebenen von Gewalt und mögliche Formen des Widerstands.

Die Arbeit im Archiv ist eine mühsame, zeitaufwendige und bisweilen auch staubige Angelegenheit. Wie lässt sich so etwas Jugendlichen vermitteln, die sich oft nur wenige Geschichtsstunden mit dem 20. Jahrhundert beschäftigen?

Etwas über Diktatur erfahren und lernen, wie man einen Podcast macht – das waren die beiden Aufgaben der drei Tage. Dafür hatten wir mit Juliane Haubold-Stolle und Schokofeh Kamiz zwei ausgewiesene und erfahrene Expert*innen gewonnen.

Es galt, die Jugendlichen für eine Geschichte zu begeistern, die weit weg ist. Die „Katze Erinnerung“, über die der Schriftsteller Uwe Johnson schreibt, die sich entzieht, „abwesend, unnahbar, stumm und verlockend“ ist, hervorzulocken und sprechen zu lassen. In einer Sprache, die auch versteht, wer nicht dabei war und hoffentlich auch nie Entscheidungen fällen muss, die das Leben von einer Minute zur anderen verändern können.

Unser Ansatz war es, Zeitzeug*innen zu finden, die als Jugendliche Erfahrungen mit Diktatur gemacht haben, die einfach für den Wunsch, das machen zu wollen, was für alle Jugendlichen auf der Welt selbstverständlich sein sollte – sich treffen, sich ausprobieren, Musik hören und machen, lesen, schreiben, tanzen und sich gegen Erwachsene auflehnen – hart bestraft wurden, mit Verhaftung, Verhören, Gefängnis.

Anne Hahn und Sam Zamrik, die den Jugendlichen in Einzelinterviews Rede und Antwort standen, kommen aus unterschiedlichen Generationen und aus sehr verschiedenen Ländern, aber ihre Erfahrungen als Punk bzw. Metal-Fan weisen dann doch sehr viele Parallelen auf, die sie selbst erstaunten.

Zu lernen, Fragen so zu stellen, dass die Interviewten Lust haben zu erzählen, war ein wesentlicher Aspekt des Podcastprojekts. In dem Sinne unterschieden sich die Fragen der Jugendlichen nicht von denen, die Erwachsene in Zeitzeug*inneninterviews stellen. Aber wenn eine 16-Jährige einen Zeitzeugen darum bittet, zu berichten, was ihm mit 16 widerfahren ist, erzeugt das eine andere, persönlichere, mitunter auch tiefere Erzählung. Es waren Begegnungen, die in manchen Momenten so intensiv waren, dass es ganz still wurde im Raum.

In dem großen Gartensalon des Schlosses hängt ein Bild, vor dem oft eine*r der Anwesenden stehenblieb, um es zu betrachten. Utopia Scrabble #3 heißt es, ein Siebdruck von Jenny Michel. Es besteht aus einzelnen Worten oder Sätzen in verschiedenen Sprachen, rot und schwarz überdruckt mit Grundrissen und geometrischen Formen.

Ein bisschen geht es uns wie auf diesem Bild: Manchmal denken wir hoffnungslos an die Zukunft mit einem Haufen Buchstaben in der Hand, die wir zu keinem Wort formen können, aber dann gelingt es uns gemeinsam mit anderen doch, auch wenn das Wort, das am Ende gelegt wird, in gar keinem Lexikon steht.

Zum ersten Text
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