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Lebendiges
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Vom Umgang mit Diktatur
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© Stefanie Kulisch

Mit Offenheit, Neugier und Empathie

Von Noémie Kaufman

Noémie Kaufman (Stiftung Genshagen) und Maritta Iseler (WIR MACHEN DAS) haben das Vermittlungsprojekt gemeinsam geleitet.

Jugendliche, die sich freiwillig in den Ferien mit Diktatur und verstaubtem Archivmaterial befassen? Das war der erste Gedanke, der mir kam, als ich vom Projekt „Offene Ohren“ hörte. Und dennoch wusste ich sofort: Das könnte etwas Tolles werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es junge Menschen gibt, die sich für Geschichte interessieren – weil Geschichte hilft, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen; weil es wichtig ist zu lernen, wie die Spuren der Vergangenheit entziffert werden können; weil es wichtig ist zu wissen, was andere, die diese Zeit erlebt haben, zu vermitteln versuchen. Weil es wichtig ist, zu erinnern.

So entstand eine Kooperation zwischen WIR MACHEN DAS und der Stiftung Genshagen mit dem Ziel, ein Vermittlungsprojekt im Rahmen von „Lebendiges Archiv – Vom Umgang mit Diktatur“ für und mit jungen Menschen zu realisieren. Die syrische Autorin Dima Albitar Kalaji und die in Ostdeutschland aufgewachsene Schriftstellerin Annett Gröschner untersuchen in diesem künstlerischen Forschungsprojekt die Diktaturerfahrungen von Menschen, die in Syrien und/oder in der DDR gelebt haben, anhand von Archivmaterial und Gesprächen mit Zeitzeug*innen. Sie beleuchten die Zusammenarbeit der Geheimdienste und die ideologische Nähe der beiden Diktaturen, untersuchen verschiedene Wirkungsebenen von Gewalt und mögliche Formen des Widerstands. Sie befassen sich aber auch künstlerisch-dokumentarisch mit ihrem persönlichen Erleben – der Arbeit im Archiv, der Erinnerungen und Emotionen.

Vom 23. bis 25. Oktober 2023 luden WIR MACHEN DAS und die Stiftung Genshagen ins Schloss Genshagen ein. Der Workshop „Offene Ohren, lebendiges Archiv: der junge Podcast“ brachte Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren aus Berlin und Brandenburg zusammen. Sie hatten sich auf eine offene Ausschreibung beworben, die an allen weiterführenden Schulen der Region kommuniziert worden war. Die Motivation der Jugendlichen, sich an dem Projekt zu beteiligen, reichte vom Interesse am Thema Diktatur und am Medium Podcast über den Wunsch, Interviewmethoden kennenzulernen, bis hin zur Neugier auf die Begegnung mit Zeitzeug*innen.

Für die Vermittlung konnten zwei Expertinnen gewonnen werden: die Historikerin Dr. Juliane Haubold-Stolle, wissenschaftliche Referentin der Direktion bei der Stiftung Berliner Mauer, sowie die Filmemacherin und Journalistin Schokofeh Kamiz.

Im Rahmen des dreitägigen Workshops wurden unterschiedliche Ziele verfolgt. Zunächst sollten sich die Jugendlichen, die sich vorher nicht kannten, schnell zu einer Gruppe zusammenfinden, sich in die historischen Kontexte der DDR und Syriens einarbeiten undsentliche Merkmale von Diktaturen vor Augen führen. Zudem ging es darum zu lernen, mit Archivmaterial umzugehen und über die Besonderheit von Zeitzeug*innen als historische Quellen nachzudenken. Schließlich sollten sie Fragen für die Interviews vorbereiten und sich damit beschäftigten, wie ein Podcast produziert wird.

AG 1: Der historische Kontext – zwei Diktaturen im Vergleich

Der erste Tag des Workshops widmete sich dem historischen Rahmen. Gemeinsam wurden die Entwicklungen in der DDR und in Syrien seit 1945 skizziert und dabei sowohl Parallelen als auch Unterschiede herausgearbeitet, etwa in Bezug auf das politische System, die Parteien und das Wahlsystem, die Rechtsstaatlichkeit, die Wirtschaft, die Bildung, die Arbeit der Geheimdienste, den Umgang mit Opposition und Protest. Anschließend erarbeiteten die Teilnehmer*innen gemeinsam die wichtigsten Merkmale von Demokratien im Gegensatz zu Diktaturen.

Im zweiten Teil der AG arbeiteten die Jugendlichen in kleinen Gruppen mit Dokumenten aus unterschiedlichen Beständen und Archiven.[1] Diese enthielten Angaben und Aussagen zu verschiedenen Vorkommnissen an Grenzübergängen (u. a. Fluchtversuche) – darunter auch Vorfälle zwischen syrischen und deutschen Bürger*innen. Im Umgang mit diesen Quellen lernten die Jugendlichen, den Blick dafür zu schärfen, wer über diese Vorfälle berichtete, mit welchen möglichen Intentionen, wessen Perspektiven dabei nicht enthalten sind und wie diese Quellen zu interpretieren sind.

Im letzten Teil der AG wurde auf den Umgang mit Zeitzeug*innen als historischen Quellen eingegangen. Die Jugendlichen konnten zunächst mit einer Übung ihr eigenes Erinnerungsvermögen testen. Es wurde deutlich, dass es bei Berichten von Zeitzeug*innen darum geht, sich in der Gegenwart an Vergangenes zu erinnern. Durch das aktive Sprechen/Schreiben wird diese Erinnerung jedes Mal neu festgehalten. Daraus entstehen Erzählungen, bei denen Zeitzeug*innen nicht bloß die Ereignisse wiedergeben, sondern auch erklären, welche Gefühle sie dabei hatten. Häufig stellen sie dabei kausale Zusammenhänge mit der heutigen Zeit her und geben den Ereignissen eine Form. Dies ist per se eine subjektive Perspektive – ein Umstand, den man klar vor Augen haben muss, wenn man mit Zeitzeug*innen spricht. Wichtig ist das Abgleichen mit anderen wissenschaftlichen Quellen wie z. B. historischen Spuren oder archäologischen Untersuchungen, so ein Ergebnis der gemeinsamen Arbeit.

Neben der intensiven Arbeit gab es auch Zeit zur Erholung und Entspannung. So bot Annett Gröschner eine Werkstatt an, in der die Jugendlichen an zwei Abenden frei künstlerisch arbeiten konnten. Sie machten Schreibübungen, in denen sie das „Fotografieren mit Worten“ ausprobierten, gestalteten Postkarten, aquarellierten, typografierten und collagierten.

Am ersten Abend schaute die Gruppe den Dokumentarfilm „Heimatkunde“ von Christian Bäucker (2022) über die Schulbildung und Kindererziehung in der DDR.

AG 2: Vorbereitung und Produktion von drei Podcast-Folgen

Am zweiten Tag lernten die Teilnehmer*innen verschiedene Podcast-Genres kennen und beschäftigten sich insbesondere mit dem Aufbau von Interview-Podcasts. Als Interviewer*in muss man auf folgende Aspekte achten: dem Gast Raum zum Sprechen geben, nicht einseitig fragen, W-Fragen stellen, um Ja-/Nein-Antworten zu vermeiden, Hintergrundwissen vorher erarbeiten, Empathie beim Fragen nicht verlieren, die Grenzen der Interviewten respektieren, Spannung bis zum Ende halten usw. Eingehend wurde in der Gruppe diskutiert, dass es nicht darum geht, Antworten auf eine Liste von Fragen zu bekommen, sondern darum, sich auf das Gespräch einzulassen, damit eine Geschichte erzählt wird. Dafür braucht es eine klare Struktur mit vier wesentlichen Elementen: 1) Recherchieren 2) Fragen strukturieren 3) Empathie 4) das Interview von den Zuhörer*innen aus denken.

Anschließend beschäftigten sich die Teilnehmer*innen mit den Kurzbiografien der drei Zeitzeug*innen, die sie am nächsten Tag interviewen würden. Sie recherchierten Gemeinsamkeiten, Unterschiede und mögliche Verknüpfungen, überlegten sich relevante Fragen und brachten sie in eine sinnvolle Reihenfolge. Ferner bereiteten sie Einführungstexte für jede Podcast-Folge vor und legten ihre jeweiligen Rollen bei den Interviews fest. Schließlich wurde der Umgang mit der Aufnahmetechnik eingeübt. Auch am zweiten Abend fand sich Zeit für kreatives Beisammensein und die Jugendlichen hörten zusammen Podcasts zur Einstimmung.

Am dritten Tag kamen drei Zeitzeug*innen ins Schloss Genshagen: die Schriftstellerin Anne Hahn, der Lyriker, Übersetzer und Musiker Sam Zamrik sowie die Autorin und Journalistin Dima Albitar Kalaji. Drei Podcast-Folgen wurden aufgenommen, wobei Anne Hahn und Sam Zamrik jeweils einzeln interviewt wurden und anschließend ein gemeinsames Interview mit Anne Hahn, Sam Zamrik und Dima Albitar Kalaji geführt wurde. Jara und Tamilo übernahmen die Rolle der*des Interviewer*in bei der Aufnahme der Podcast-Folge mit Anne Hahn. Zora und Hanna sprachen mit Sam Zamrik. Emilia und Lea führten das Gespräch mit allen drei Zeitzeug*innen. Rana und Lara kümmerten sich jeweils um die Technik. Die Jugendlichen trafen sich zu einem weiteren Termin im November, um das Mixing und den Schnitt der Gespräche umzusetzen.

Die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen war eine wunderbare Erfahrung. Sie waren sehr engagiert und motiviert und haben die kurze Zeit mit Interesse und Offenheit zu nutzen gewusst. Wir freuen uns sehr, das Ergebnis dieser Aufnahmen hier präsentieren zu können, und bedanken uns bei allen Beteiligten. Ebenfalls möchten wir uns bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (im Rahmen des Programms „Demokratie leben!“) sowie bei der Fach- und Koordinierungsstelle der Partnerschaft für Demokratie Teltow-Fläming für die Förderung des Projekts bedanken.


1 Dies waren: Schule des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Potsdam-Eiche; Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR; Grenzbrigade der Nationalen Volksarmee; Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv und Bundesarchiv Militärarchiv.

Zum zweiten Text
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