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Gattinnen

Titelseite des Neuen Deutschland vom 5. Oktober 1978. Aus der Akte über den Staatsbesuch, BArch, DA/5/10103, unpag.

 

Nur selten waren Frauen im Fokus eines Titelbildes der Parteizeitung Neues Deutschland[1] zu sehen. Die DDR hatte sich zwar die Emanzipation der Frau auf die Fahnen geschrieben, aber nach oben, in Richtung Partei- und Staatsführung, war da noch viel Luft. Nur zum Internationalen Frauentag wimmelte es von Frauen im Zentralorgan der SED. Deswegen kommt dem geübten Blick ein Titelbild wie das des Zentralbildfotografen Peter Koard vom 5. Oktober 1978, das die Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages zwischen Syrien und der DDR zeigt, seltsam vor. Denn nicht die beiden Männer, die dort vorn am Tisch sitzen, um in gehörigem Abstand voneinander wichtige Papiere zu unterzeichnen, stehen im Fokus. Sie gehen optisch beinahe unter in ihrer fast ausschließlich männlichen Entourage. Die linke Seite, der Gästeblock, wirkt in seiner Gedrängtheit kleiner als die gastgebende Gruppe rechts – Mitglieder von Politbüro und/oder Zentralkomitee der SED, darunter Ministerpräsident Willy Stoph, der Minister für Nationale Verteidigung, Heinz Hoffmann, oder der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke. Im Mittelpunkt des Bildes stehen zwei Frauen, die aussehen, als drängten sie sich, die Handtasche eng an den Körper gepresst, gemeinsam durch eine zu schmale Tür. Es ist aber keine Tür, nur eine holzvertäfelte Wand zwischen zwei Lamellenkonstruktionen im Berliner Staatsratsgebäude, in die sie wie eingeklemmt wirken. Die linke, größere Frau mit den dunklen Haaren ist die Gattin des Präsidenten der Syrischen Arabischen Republik, Anisa al-Assad, oder – wie sie in den Quellen häufiger genannt wird – Anisa Machluf (1930–2016). Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie seit sieben Jahren First Lady und würde es noch 22 weitere Jahre bleiben. Sie agierte selten in der Öffentlichkeit. Dementsprechend gibt es nur wenige Bilder von ihr. Sie zeigen, dass sie eine Vorliebe für gepaspelte Kostüme mit großen Kragen hatte. Rechts neben ihr steht Margot Honecker (1927–2016), die Ehefrau des Mannes vorne rechts am Tisch.

Zu sehen sind zwei Darstellerinnen der Rolle „Präsidentengattin“ – wobei der Ehrgeiz der Deutschen weiter reicht, als nur Gattin zu sein. Margot Honecker befand sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Seit 1963 war sie Ministerin für Volksbildung der DDR, neben der 1954 geschassten Vorgängerin im Ministerium, Elisabeth Zaisser, und der von 1953 bis 1967 das Amt der Justizministerin bekleidenden Hilde Benjamin die einzige Ministerin im SED-Regime. Erst am 2. November 1989, angesichts ihrer drohenden Absetzung, trat sie zurück. Die Machtübernahme ihres Mannes im Jahr 1971 brachte ihr eine Machtfülle, die ihre Kompetenzen als Ministerin weit überstieg. 26 Jahre im Amt, prägte sie es bis zur völligen Stagnation des Landes?. Da früher oder später jede*r in der DDR mit der Volksbildung konfrontiert wurde, war sie neben Erich Mielke eine*r der unbeliebtesten Politiker*innen der DDR. Auf dem Foto sieht sie in Frisur und Mimik aus wie eine missmutige Doppelgängerin von Marlene Dietrich. Der später häufig verspottete Blauschimmer in den dauergewellten Haaren fehlt noch, sie ist erst 48 und blond. Außenpolitisch mochte sie die First Lady sein, im Volksmund war sie „Miss Bildung“.

Die Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Syrischen Arabischen Republik“ am 4. Oktober 1978 war der Höhepunkt und Abschluss des ersten (und letzten) Besuches einer syrischen Partei- und Regierungsdelegation unter Leitung des Präsidenten Hafiz al-Assad. Für Erich Honecker war es ein weiterer außenpolitischer Erfolg. Er schien sich warmzulaufen auf diplomatischem Parkett. Unter seiner Führung war die DDR 1973 Mitglied der UNO geworden, zur gleichen Zeit gab es diplomatische Beziehungen zu 46 Ländern, seit 1974 auch zu den Vereinigten Staaten. Das verringerte die Abhängigkeit von der Sowjetunion.

Die DDR und Syrien vereinbarten an diesem 4. Oktober 1978 ein „langfristiges Abkommen über die Prinzipien der ökonomischen, industriellen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, Protokolle über die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, einen Arbeitsplan über die kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit 1978/79, ein Protokoll über den Warenaustausch 1979 sowie ein Protokoll über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gesundheitswesens für 1979/80“.[2] Was im Zeitungsbericht über das Treffen nicht erwähnt wird, ist die Kooperation von Polizei, Armee und Staatssicherheitsdienst, die zu diesem Zeitpunkt schon seit mehr als zwanzig Jahren bestand. Die Zusammenarbeit beider Innenministerien war durch eine im Februar 1978 unterzeichnete Vereinbarung geregelt. Kurz nach dem Staatsbesuch wird der stellvertretende syrische Innenminister Baschour dem aus Berlin angereisten IM Klaus Werner erklären, dass die „Beziehungen zum MdI der DDR den 1. Platz in den Auslandsbeziehungen des MdI der SAR einnehmen“.[3]

Das syrische Präsidentenpaar und seine Entourage residierten im Schloss Niederschönhausen in Pankow. In den Akten sind Quittungen für Essen, Dienstleistungen und Besuche überliefert. Es wurde nach Zürich, London und Westberlin telefoniert und die chemische Reinigung beansprucht. Das Interhotel Berlin schickte am 16. Oktober eine Rechnung über gastronomische Leistungen über 32.310,71 Mark an „Herr/Frau/Fräulein Staatsrat der DDR“,[4] zahlbar innerhalb von zehn Tagen.

Auch die Staatssicherheit bot jede Menge Kräfte auf, um die Sicherheit des Staatsgastes zu gewährleisten. Der Befehl Nr. 17/78 von Minister Erich Mielke bezüglich der Aktion „Standhaftigkeit“[5] sah den Einsatz von 4.308 Mitarbeitern des MfS vor, die in den Ferienlagern Feliks Dzierzynski und Lilo Herrmann in Bad Saarow und im Ferienlager Klausheide untergebracht waren. Provokationen befürchtete man nicht.[6] Doch war man auf der Hut: „Es ist aber notwendig“, schrieb Hauptmann Raddau in seinem Bericht zum Befehl 17/78, „auch solchen Problemen wie in der arabischen Sprache abgefaßten Texten eine hohe Bedeutung zu schenken. So wurden am 21.9.1978 im Fußgängertunnel unter dem Alexanderplatz zwei Losungen in arabischer Sprache festgestellt, die sich unmittelbar gegen Präsident Assad richteten und seinen Sturz forderten. Es ist deshalb erforderlich, Sprachkundige für die arabische und englische Sprache bereitzustellen, die gegebenenfalls sofort zur inhaltlichen Einschätzung derartigen Schriftgutes eingesetzt werden können.“[7]

 

An den Verhandlungen nahm Anisa al-Assad, bis auf ihre Anwesenheit bei der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung im Staatsratsgebäude, nicht teil. Für sie gab es neben den gemeinsamen Essen und Empfängen ein „Sonderprogramm für die Gattin des Generalsekretärs der Arabischen Sozialistischen Baath-Partei und Präsidenten der Syrischen Arabischen Republik“: Sonntagnachmittag Pergamonmuseum, Montagvormittag „Stadtbesichtigung mit Besuch einer kombinierten Einrichtung Kindergarten / Kinderkrippe“[8] in der Lichtenberger Straße 17, die in den Verantwortungsbereich von Margot Honecker fiel. Offizielle Ehrenbegleitung der Präsidentengattin war aber nicht die Volksbildungsministerin, sondern die Vorsitzende des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands, Ilse Thiele. Weitere Begleiterinnen waren die Gattin des Botschafters der DDR in Syrien, Christa Winter, sowie die Stellvertreterin des Chefs des Protokolls, Irmgard Weier. Neben dem Kindergarten besuchten sie auch eine Familie im Plattenbau. Montagnachmittag schaute Anisa al-Assad im „Haus der Mode“ in den Rathauspassagen vorbei – Shoppen ohne bezahlen zu müssen –, besichtigte den Fernsehturm und machte eine Dampferfahrt mit dem Motorschiff Köris. Die Rechnung vom „Haus der Mode“, einem HO-Geschäft, zwei Kleider und eine Tasche für über 900 Mark, das Monatsgehalt einer Schichtarbeiterin, ging an den Staatsrat. Zwei Monate später, am 4. Dezember 1978, beschwert sich das „Haus der Mode“ bei der Protokollabteilung des Staatsrates, dass die Auslagen für Bewirtung, Blumen und Gastgeschenk für Frau Assad über 135,10 Mark immer noch nicht beglichen sind.

 

Am dritten Tag des Staatsbesuchs ging es nach Cottbus, wo das Präsidentenpaar im Hotel Lausitz von Frauen in sorbischer Tracht begrüßt wurde. Das Damenprogramm bestand in einem Einkaufsbummel im Konsument-Warenhaus, einem Spaziergang auf der Stadtpromenade und einem Besuch der Galerie Carl Blechen, während Assad dem NVA-Jagdfliegergeschwader „Wladimir Komarow“ einen Besuch abstattete. Von diesem Treffen sind im Bundesarchiv Bilder des Zentralbildfotografen Peter Koard überliefert. Um 13 Uhr aß das Paar in Cottbus gemeinsam mit dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Cottbus und seiner Gattin zu Mittag, ehe sie gemeinsam zu einer Besichtigung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Golßen aufbrachen, wo es in der Gaststätte „Treffpunkt“ ein Freundschaftstreffen mit Genossenschaftsbäuerinnen und -bauern gab. Sah man da die First Lady in Gummistiefeln? Leider sind keine Fotos der Besichtigung der Milchviehanlage überliefert. Abends kehrte die Delegation nach Berlin zurück.

Der letzte Tag begann mit eben jener Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung im Sitzungssaal des Staatsrates. Stammte das Kleid, das Anisa al-Assad dort trug, aus dem „Haus der Mode“ in den Rathauspassagen? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass sich die Partei- und Staatsführung der DDR die strategische Freundschaft zu Syrien einiges kosten ließ.

Um 11.45 Uhr wurde das Paar im Sonderbereich des Flughafens Schönefeld verabschiedet.

 

Interessant ist, dass sowohl Margot Honecker als auch Anisa al-Assad im Jahr 2016 starben, beide waren hochbetagt. Während Margot Honecker seit 1992 im chilenischen Exil gelebt hatte, wohin sie nach einem Aufenthalt in Moskau und der Inhaftierung ihres Mannes geflohen war, wurde Anisa al-Assad von der First Lady zur Mutter des Präsidenten – 2000 übernahm ihr Sohn Baschar nach dem Tod Hafiz al-Assads die Regierungsgeschäfte. In Reaktion auf den Bürgerkrieg und die Menschenrechtsverletzungen der Assad-Regierung verhängte die EU 2012 ein Reiseverbot und Sanktionen für Anisa al-Assad als Nutznießerin des Regimes, außerdem wurden ihre Vermögenswerte auf EU-Gebiet eingefroren – bis dahin war sie regelmäßig zu Arztbesuchen nach Deutschland gefahren.[9] Margot Honecker kehrte nie wieder nach Deutschland zurück.

 

[1] Eine Ausgabe des Neuen Deutschland vom 5. Oktober 1978 (Titelseite) fand sich in der Akte über den Staatsbesuch, BArch, DA/5/10103, unpag.

[2] Neues Deutschland, Nr. 236 vom 5. Oktober 1978, S. 1.

[3] BArch, MfS, AS, 452-83, Bd. 1, Bl. 198.

[4] BArch, DA/5/10103, unpag.

[5] Der Name Standhaftigkeit bezog sich auf die vom MfS so genannte „Front der Standhaftigkeit“ arabischer Länder gegen das Abkommen von Camp David vom 17. September 1978 zur Annäherung von Ägypten und Israel.

[6] BArch, MfS, ZOS, 2588, Bl 0075f.

[7] Ebenda, Bl. 0076.

[8] BArch, DA/5/10103, unpag.

[9] Vgl. https://www.aljazeera.com/news/2016/2/6/syrian-presidents-mother-anissa-assad-dies-aged-86 (zuletzt aufgerufen am 27.1.24).

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